»Flashig! Amtsberg kippt Dir seine Geschichten in den Kopf wie ein Bleigießer.«

Olli Schulz



»Was heißt hier bitte ›Fast wahre Geschichten‹? Was von so großer Schönheit ist, kann nur voll und ganz und 

phänomenal wahr sein!«

Tilman Rammstedt



»Der Hamburger Humor vereint den Sinn fürs Skurrile mit der Freude am Sprachspiel, er kennt die Melancholie so gut wie die Ironie. Und manchmal gefällt ihm die Bizarrerie dann am besten, wenn sie eben nicht subtil ist – und trotzdem feingeistig. Als Paradebeispiel für Letzteres kann Sven Amtsberg dienen, der unter den Hamburger Humorschaffenden derzeit noch zu den hidden champions gehört.«

Thomas Andre, HAMBURGER ABENDBLATT




PARANORMALE PHÄNOMENE

Kurzgeschichten



»In unserem Leben geschieht nicht viel. Einmal ist ein Fuchs in unserem Garten gewesen. Ein anderes Mal hatte es fast so aus­ gesehen, als würde es in dem Haus gegenüber brennen. Die Feu­erwehr war gekommen, und ich hatte so viele Fotos gemacht, wie nur auf die Speicherkarte passten. Das war es im Grunde auch schon an Aufregungen, die das Leben für uns bereithielt. Wann immer wir eingeladen waren, erzählte ich diese Geschich­ten. Meine Frau war es oft, die am lautesten lachte. Wir waren nicht oft eingeladen.

Rahlstedt, dachte ich immer, und dann würde das Leben los­ gehen. Nena lebt in Rahlstedt, hatte meine Frau gesagt, als ich sie fragte, warum wir nach Rahlstedt ziehen sollten. Ausgerech­net Rahlstedt. Das Haus war günstig gewesen. Der Garten so groß, dass die Kinder darin spielen konnten, ohne dass man sie vom Haus aus noch sah. Es grenzte an die kaum befahrene Bahnstrecke. Manchmal bekam man hier das Gefühl, Hamburg würde Rahlstedt vergessen. Absichtlich. Und einmal im Jahr fuhren wir Rahlstedter in die Hamburger Innenstadt und pro­ testierten. Für Rahlstedt. Gegen das Vergessen. Mit Bettlaken, auf denen Rahlstedt stand. Trillerpfeifen und Schirmmützen. Auch in Rahlstedt lebten und leben bekannte Leute. Nicht nur Nena, auch der Schauspieler Hans­Peter Korff. Und nicht zu vergessen der Dichter Detlev von Liliencron. Den aber heute lei­ der kaum noch wer kennt. Daran ändern auch die Feste nichts, die wir jedes Jahr an seinem Geburtstag und an seinem Todes­ tag einen Monat später abhalten und zu denen ausschließlich Rahlstedter kommen, die dann eine Liliencronwurst essen, die ohne Darm gegrillt wird und halb Fisch, halb Fleisch ist. Jedes Mal wieder lassen wir tausend Luftballons mit Helium gefüllt in die Luft steigen, auf denen nichts weiter steht als Rahlstedt, Rahlstedt, Rahlstedt und von denen wir hoffen, sie mögen den Namen unseres kleinen Stadtteils in die Welt hinaustragen. Touristen verirren sich kaum hierher, und wann immer dunkelhäu­tige Menschen auf der Straße zu sehen sind, ist die Aufregung groß. Ein Menschenauflauf bildet sich, und man nötigt die Be­sucher, die sich oft als ganz normale Hamburger herausstellen, dazu, sich auf Englisch durch den Ort führen zu lassen. Sich Sehenswürdigkeiten anzusehen wie etwa die kleine Fußgängerzo­ne oder den Bahnhof. Es gibt sogar Ansichtskarten von alledem, doch werden sie nur selten gekauft. Und wenn doch, dann meist von Rahlstedtern wie uns, die es einfach nicht ertragen kön­nen, dass sich niemand für Rahlstedt interessiert. Nicht nur ein­ mal hat meine Frau Postkarten an Fremde geschrieben, deren Adressen wir aus dem Internet haben. Auch in Rahlstedt gibt es Internet. Schöne Grüße aus dem schönen Rahlstedt steht vor­ ne drauf. Dazu fünf fröhliche Rahlstedter, die am Busbahnhof eine gewisse Weltläufigkeit zu verströmen versuchen, mit gro­ ßen Koffern mit Aufklebern darauf, auf denen Honolulu steht, Sankt Petersburg, Nassau und eben Rahlstedt.


Das Glück hat es bei uns in Rahlstedt leicht. Ebenso wie die Freude und die Euphorie. Wir haben keine hohen Ansprüche. Oft genügen Kleinigkeiten. Eben wie der Fuchs oder ein kleines Feuer, das sich am Ende dann nur als angebranntes Essen he­ rausstellte.


Manchmal erschrecke ich, fährt ein Auto durch die Straße, oder streunt eine herrenlose Katze durch fremde Gärten. Hier ruft man gleich die Polizei, die froh ist über jeden Einsatz. Meist kommt man mit mehreren Streifenwagen. Es werden Fotos ge­ macht. Und oft berichtet die Rahlstedter Zeitung noch mehrere Tage danach über diesen Einsatz. Selbst wenn es nur eine Katze war oder ein Betrunkener, der eingenässt von einer der Bänke im Liliencronpark gefallen ist. In Homestorys, wie das in Rahlstedt heißt, werden die einzelnen am Einsatz beteiligten Polizisten vor­ gestellt, und man ist froh, dass in der Zeitung wieder etwas ande­ res steht als die Berichte über Detlev Liliencron oder Leserbriefe.

Sie können sich also sicher vorstellen, was los war an jenem Tag, an dem die Kinder morgens aufgeregt aus dem Garten ins Haus kamen und riefen: »Da liegt ein Astronaut in unserem Garten.«


Ich kannte meine Kinder gar nicht aufgeregt. Schnelle Bewe­gungen und Hektik kennen wir nur aus dem Fernsehen. Wir sehen gerne amerikanische Sendungen. Wie jeder Rahlstedter. Immer wieder gibt es Versuche, etwas Amerika hier nach Rahl­stedt zu holen. Und dann wird Hamburg aber Augen machen. Wer ist dann Provinz und wer Metropole? Immer wieder lädt man Kriminelle hierher ein. Baut Häuser, so hoch man kann. Manch einer sprüht Graffitis an sein Haus. Big Boys Rahlstedt Crew was here, This is a tag oder einfach nur Penis steht dort an den Einfamilienhäusern in unserer Straße, die benannt ist nach einer winzigen Stadt in Mecklenburg­Vorpommern, in der weniger Menschen leben als in Rahlstedt.


»Was?«, fragte ich an jenem Morgen und spürte mein Herz, das in mir schlug wie ein eingesperrtes Tier, das apathisch gegen die Wände seines Käfigs springt. Aufgeregt liefen wir alle in den Garten. Da waren die Nachbarn schon an den Fenstern und auf den Zäunen. Der Zug war langsamer gefahren. Hatte sogar ge­ standen, weil man gespürt zu haben schien, dass etwas im Gange war. Wir sind sehr empfindlich in Rahlstedt. Wir spüren, wenn es irgendwo auch nur ein bisschen nach Halligalli riecht.


Nun standen sie schon da und sahen den Astronauten an. Machten Fotos, nickten. Doch so recht glauben konnte man es nicht. «


(Auszug aus: »SCHWEBEZUSTAND«)





Sven Amtsberg »Paranormale Phänomene. Fast wahre Geschichten«. Mit Zeichnungen von Kat Menschik. Metrolit, Berlin. Hardcover, 208 Seiten.